14. Wissenschaftliches Symposium des dbs am 22. und 23. Februar 2013 in der Universität zu Köln – ein Rückblick

Mafalda, die mit ihrer Mutter in deren Herkunftssprache Umbundu und mit ihrem Vater Portugiesisch spricht, mit ihren letzebuergischen Freundinnen in einen deutschen Kindergarten geht und sich schon auf den deutschsprachigen Unterricht in der ersten Klasse freut, ist das eine Beispiel für die erstaunliche „Mehrstimmigkeit“ bi- oder multilingualer Menschen – der tschechische Arzt, der in der Deutschschweiz lebt, regelmäßig im englischsprachigen Ausland arbeitet und nun nach seinem Schlaganfall Aphasietherapie auf Französisch erhält, ein anderes. Beide Biographien stehen stellvertretend für die Herausforderung „Multilingualismus im Kontext der Sprachtherapie“dem sich das 14. Wissenschaftliche Symposium des dbs am 22. und 23. Februar an der Universität zu Köln widmete.

 

In Workshops, Vorträgen und Posterbeiträgen zeigten Wissenschaftler und Praktiker aus akademischer Sprachtherapie, Linguistik, Logopädie und angrenzenden Gebieten den Stand der deutschsprachigen und internationalen Forschung zum Thema auf. Vom frühkindlichen Zweitspracherwerb bis zur Aphasietherapie bei Mehrsprachigen und zu Fragen interkultureller Kompetenz reichte die Themenvielfalt der von Prof. Dr. Hans-Joachim Motsch, Judith Heide und Dr. Ulrike de Langen-Müller gemeinsam konzipierten zweitägigen Veranstaltung.

 

Angesichts der komplexen Vielfalt, die Multilingualismus im Zusammehang mit Sprachstörungen darstellt, wurden nicht zuvorderst Antworten erwartet, wie Dr. Volker Maihack in seiner Eröffnungsrede betonte, sondern es sollten Fragen formuliert, das vorhandene Wissen gebündelt und gefiltert und für die Praxis anwendbar gemacht werden. Das, so der scheidende langjährige dbs-Vorsitzende, sei der Grund, weshalb Sprachtherapeuten Fertigkeiten akademischer Natur benötigten.

 

Einen Überblick zum Grammatikerwerb bei mehrsprachigen Kindern und Erwachsenen bot Prof. Dr. Harald Clahsen (Univ. Potsdam) und zeigte in seinem Vortrag die Unterschiede hinsichtlich lexikalischer und grammatischer Entwicklung bei Erst- und Zweitsprache auf.

 

Dass dies Konsequenzen für Diagnostik und Therapie der von SSES betroffenen Mehrsprachigen haben muss, verdeutlichte insbesondere der Beitrag von Prof. Dr. Motsch (Univ. Köln): aus der Tatsache heraus, dass die Verläufe der Mehrsprachigkeit außerordentlich heterogen sein können, plädierte er dafür, die Diagnostik weitgehend auf grammatische Marker zu beschränken. Das Instrument für die 5 häufigsten Herkunftssprachen liefert seine Arbeitsgruppe mit dem Testverfahren Esgraf MK.

 

Komplettiert wurde der erste Symposiumstag neben der Präsentation von 14 Postern, die ebenfalls weitgehend das Rahmenthema behandelten, durch Vorträge von Carina Lüke (TU Dortmund) und Prof. Dr. Petra Schulz (Univ. Frankfurt/Main).

 

Frau Lüke betonte anhand des Dortmunder Datenkorpus die Vielzahl an Einflussfaktoren auf den Erwerbsprozess und demonstrierte das Missverhältnis von therapeutischem Kompetenzempfinden von Sprachtherapeuten einerseits und mangelnden Kenntnissen hinsichtlich Diagnostik andererseits. Dieser Kenntnisse bedarf es allerdings in hohem Maße.

 

Deutlich machte dies Prof. Dr. Petra Schulz in ihrem Beitrag zum frühen Zweitspracherwerb. Zwar betreffe eine SSES alle Sprachen eines Kindes, aber die Art der Defizite scheint sprachabhängig zu sein. Daher sollte in der Diagnostik Wissen einfließen über den Erwerbszeitpunkt der Zweitsprache und die Strukturbedingungen der Herkunftssprache.

 

Die Wissenslücke zur Mehrsprachigkeit sprach auch Prof. Dr. Rosemary Tracy (Univ. Mannheim) an und forderte bessere pädagogische Qualifizierung und Professionalisierung. Deutlich machte sie in ihrem Vortrag vor allem die Chancen, die Mehrsprachigkeit bringen kann: den Zugang zu mehr als nur einem „symbolischen Markt“ und die Konkurrenz und positive Herausforderung fürs Gehirn.

 

Erleichtert nahm das Plenum die Botschaft von Dr. Margit Berg (PH Heidelberg) auf, die anhand von belastbaren Daten zeigen konnte, unter welchen Bedingungen Monolinguale Sprachthetrapie mit bilingualen Kindern effektiv gestaltet werden kann. Angesichts von ca. 200 Herkunftssprachen in Kitas und auf deutschen Schulhöfen entlarvte sie die These, dass nur zweisprachige Therapie zum Erfolg führen könne, als Illusion und Mythos zugleich.

 

Ähnliche Befunde im Gebiet der Aphasietherapie bei Mehrsprachigen konnte Jean-Marie Annoni (Univ. Fribourg) liefern. Er zeigte, dass es verschiedene Formen der Remission hinsichtlich L1 und L2 bei Aphasikern gibt. Aufgrund der überlappenden Aktivierung des Gehirns und strukturellen Eigenheiten der betroffenen Sprachen kommt es zu individuell ganz unterschiedlichen Transfereffekten.

 

Zum Abschluss des 14. Wissenschaftlichen Symposiums lenkte Sophie Koch (Berlin) in einem praxisnah angelegten Vortrag den Blick zum Interkulturellen Dialog in der Sprachtherapie und empfahl den anwesenden SprachtherapeutInnen die Aneignung interkultureller Kompetenz, indem sie sich Vorurteile und Stereotypien bewusst machen und sich auch als Kulturmittler begreifen.

 

Entlassen wurden die gut 400 Teilnehmer mit einem kritischen Resümee von Prof. Dr. Michael Wahl (HU Berlin) und der herzlichen Einladung zum 15. Wissenschaftlichen Symposium des dbs 2014 in Berlin.

 

Bernd Frittrang

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